Sonntag, 20. Juli 2014

Alltag?

Es ist Mitte Juli, Hochsommer in einer hessischen Kleinstadt. Fast-Ferien-Zeit, Volksfestzeit, Gartenparty-Zeit, Hitze, Alkohol. Neben all dem menschengemachten Zwist erlebe ich innerhalb von nur 10 Tagen:
- zwei Hunde in verschlossenen Autos (Mitteilerin macht Passanten aufmerksam, nachdem sie bei ihrer Rückkehr nach Besorgungen den Hund IMMER NOCH im Auto hecheln sieht - eine Stunde nach dem ersten Kontakt. Besorgte Passanten stehen beratschlagend daneben, holen die Polizei, die mit einem Anfahrtsweg von zwanzig Minuten dem Hund wertvolle Lebens-Zeit kostet - bis ein herbeigerufener Automechaniker einen Weg findet, das Türschloss kaum zu beschädigen - währenddessen der neun Monate junge, schokobraune Labrador auf dem Rücksitz um sein Leben ringt. In der Tierklinik wird er nachher sterben, dehydriert und mit Hirnschwellungen. Die Familie heult - schließlich war doch das Fenster ein Stückchen auf!
Ergibt: Tierschutz-Strafanzeige Nr. 1.

Hund Nr. 2, ein kleinerer Mischling, zerfetzt panisch den Stoff des Beifahrersitzes, auf dem er am Kurzführer angegurtet ausharren musste, während das Frauchen sich beim "mal eben kurz" Einkaufen mit einer Freundin verquatscht. Frauchen wird ausfindig gemacht, ist sauer wegen der peinlichen Situation und wegen des Sitzes. Hund überlebt nach ordentlich Wasser aus dem nahegelegenen Brunnen.
Tierschutz-Strafanzeige Nr. 2.

- Frühdienst. Beginnt mit: totem Hund. Von zu Hause entlaufen, von Auto angefahren, vor Ort verstorben. Hinter einer Hecke entsorgt. Kein Hinweis auf Besitzer, kein Chip, kein Tattoo, keine Marke am Halsband. Hund wird vom Bauhof abgeholt. Immerhin sichert mir der Bauhof-Mitarbeiter zu, den Hund einen Tag länger als üblich aufzubewahren, falls sich ein Besitzer bei uns meldet, kann er den altdeutschen Schäferhund da abholen. Es meldet sich trotz Presse-Veröffentlichung niemand. Der Hund wird vom Bauhof beerdigt.

- Nachtdienst. Hund entläuft dem (da noch unbekannten) Besitzer gg. 16 Uhr mitten in der Stadt. Wird, da auf der Straße herumlungernd, von Anwohner eingefangen und gg. 22 Uhr, nach vergeblichem Abwarten und Herumfragen, bei der Polizei abgeliefert. Polizeibeamtin rüstet Hund mit Geschirr und Leine aus und bringt ihn iunter Umgehung der Vorschriften (Hund zu groß für die einzige vorhandene Box, wird im Fahrgastraum des Polizeibusses transportiert) in die Kreisstadt, da nur die Kollegen dort über ein Transponder-Lesegerät verfügen. Chip wird erfolgreich ausgelesen, Halterin wohnt im 20 km entfernten L., ist aber leider nicht zu erreichen. Hund wird ins Tierheim verfrachtet und in eine Notbox eingesetzt. Das passt dem bisher sehr freundlichen Podenco-Mix, von dem wir nun wissen,dass er B. heißt, überhaupt nicht. Bleiben muss er trotzdem.  Rückfahrt zur Dienststelle, eintreffen dort: 23.55 Uhr. Der Wachhabende teilt mit, vor fünf Minuten habe sich der aktuelle Besitzer von B. gemeldet, ob wir zufällig einen Hund, so spanisch, mit Kippohren, gefunden hätten....? Hoffentlich holt er ihn morgen überhaupt aus dem Tierheim ab.
Oh Mann. Chippen ist eine tolle Sache - wenn man auch die Registrierung macht UND ggf. den Hund ummeldet.

- Über 80jähriger Landwirt, alleinstehend, wurde seit mindestens gestern früh nicht mehr gesehen. Eine Frau, die gelegentlich die Pferde und Katzen des Mannes füttert, meldet dies. Nicht aus Sorge um den älteren,rüstigen Herrn, der gerne mal einen oder zwei oder auch drei Tage auf dem Feld zu verbringen scheint, sondern aus Mitleid mit den Tieren.
Wir betreten mit der Frau, einer Rumänin übrigens, den Hof. Die Pferde sind nicht da, wohl auf der Weide, wie ein hinzukommender Nachbar sagt.  Und Vorsicht, es gäbe hier einen großen Hund.
Wir schauen in jeden Stall und finden in einer dunklen, stinkenden, dreckstarrenden Pferdebox (eher ein Verschlag) einen alten Bernhardiner. Außer dem Hund, seinen Exkrementen und einem Eimer mit schmutzigem Wasser enthält der Verhau nichts, nicht einmal Tageslicht. Der Hund ist lethargisch und erkennbar krank, vor allem aber erkennbar unterernährt. Futter gibt es nicht, nur verschimmeltes Brot und Salatabfälle, für die Hühner. Die den Tränen nahe Rumänin besorgt eine große Dose Hundefutter. Die Stalltür ist eine schwere Metallplatte und verschlossen, über dem Boden ist ein fünf Zentimeter hoher Freiraum. Wir finden einen Plastikeimer mit Deckel, schütten das Hundefutter in mehreren Portionen auf den Deckel und schieben diesen Behelfs-Teller unter der Tür durch. Der Hund frisst alles schnell auf.
Mehr können wir im Moment nicht tun, außer Nachbarn befragen. Der Hund käme immer nachts raus, zum Schutz des Hofes. Aha. Und wenn der Mann nicht da ist? Dann bleibt der Hund eben drin.
Ja.
Mitteilung ans Veterinäramt und ans Ordnungsamt, per Fax.  Im nächsten Dienst frage ich nach und fahre wieder auf den Hof. Der MITTEN im Ort liegt, mit Nachbarn, die das Elend jeden Tag sehen und dulden.

Bei zweien dieser Einsätze hatte ich einen Kollegen dabei, dem der jeweilige Hund nicht völlig gleichgültig oder lästig war. Alle anderen Vorkommnisse, so hatte ich das deutliche Gefühl, interessieren einfach keinen, die Gleichgültigkeit und Interesselosigkeit mancher Kollegen regt mich fast am meisten auf. Tierelend im eigenen Land, in der eigenen Stadt - Augen AUF, bitte!!